Rechenübungen (1)

Barbara Louis

September 2019

PDF zum Download

Gestaltungsmöglichkeiten

1. Tafelrechnen und Kreuzerl-Übung

Das Vorrechnen von Hausübungsbeispielen an der Tafel ist eine klassische Vorgehensweise in Rechenübungen. Oft wird der Modus „Kreuzerl-Übung“ angewandt, d.h. die Studierenden kreuzen auf einer Liste die vorbereiteten Beispiele an und können zur Präsentation dieser aufgerufen werden.[1]

Studierende vertiefen ihr fachliches Verständnis, indem sie ein ausgearbeitetes Beispiel ihren KollegInnen erklären.[2] Eine erfolgreiche Tafelpräsentation kann auch die Selbstwirksamkeit und kommunikativen Fähigkeiten der Studierenden stärken. Als Lehrperson haben Sie die Möglichkeit, den Lösungsprozess Schritt für Schritt mitzuverfolgen und spontan Feedback zu geben. Allerdings kann das Tafelrechnen bei Studierenden auch Stress verursachen (z.B. durch die Angst sich zu blamieren oder vor dem Sprechen vor der Gruppe) und so den Lerneffekt vermindern. Dem können Sie begegnen, indem Sie auch andere Formate einsetzen (s.u.).[3]

Wenn Sie merken, dass die Studierenden mit den Beispielen zu Hause nicht zurechtkommen, können Sie Übungseinheiten nicht nur zur Präsentation von Lösungen verwenden, sondern auch andere Lerngelegenheiten direkt in der LV-Einheit schaffen.

2. Lernen anhand von Musterlösungen

Für den Fall, dass Studierende Lösungswege aus Büchern oder von KollegInnen abschreiben und daher selbst nur unzureichend lernen, ist eine bewährte Strategie das Lernen anhand von Musterlösungen.[4] Dabei werden Lösungen zur Verfügung gestellt und die Erarbeitung der Lösungswege nachvollzogen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich insbesondere für die Vermittlung von Grundlagenwissen und es gibt verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten:

  • Meister-Lehrling-Prinzip:[5] Der/Die Lehrende rechnet Beispiele vor und erklärt sein/ihr Vorgehen im Detail. Die Studierenden gehen dann schrittweise dazu über, selbst Beispiele zu rechnen. Dabei ist es wichtig, sich viel Zeit zu nehmen, um Lösungswege im Detail zu besprechen. Ebenso sollte ein Thema/Konzept durch mehrere verschiedene Beispiele illustriert werden, damit die Studierenden die dahinterstehenden Strukturen verstehen und nicht nur einen Lösungsweg zu imitieren versuchen ohne ihn verstanden zu haben.[6]
  • Für Lehrende ist das detaillierte Erklären von Lösungsschritten, insbesondere bei unerfahrenen Studierenden, nicht immer einfach. Kleine Details, die ExpertInnen selbstverständlich scheinen und deshalb nicht expliziert werden, können für Studierende Stolpersteine im Verständnis darstellen. Unterstützen können Sie, indem Sie für eine offene Atmosphäre sorgen, in der Studierende jederzeit Fragen stellen können.

  • Eine interaktive Variante des Lernens anhand von Musterlösungen sind Diskussionen, auch in Kleingruppen. Studierende versuchen vor der Einheit, Modellbeispiele zu verstehen und nachzuvollziehen. In Kleingruppen lernen sie dann voneinander, indem sie die Musterlösungen erklären und diskutieren.
  • Die Zusammensetzung der Gruppen hängt von verschiedenen Faktoren ab, und auch vom Ziel, das Sie mit der Gruppenarbeit verfolgen. Wenn Studierende mit sehr unterschiedlichem Wissen zusammenarbeiten, können die Fortgeschrittenen die Schwächeren gut unterstützen und lernen ihrerseits durch das aktive Erklären. Andererseits können sich Personen in Gruppen mit ähnlichem Wissenstand gegenseitig besser fordern und sich weiterentwickeln.

    Hinweis: Als ideale Gruppengröße wird oft 3-5 Personen empfohlen. Für Szenarien in Mathematik und den Naturwissenschaften gibt es Hinweise, dass Gruppen mit 3 Personen gut funktionieren, wenn es sich um Beispiele handelt, bei denen eine richtige Lösung auf alternativen Wegen erreicht werden kann. Geht es jedoch um Brainstorming oder Interpretation, d.h. wenn mehr Perspektiven bessere oder kreativere Ergebnisse ermöglichen, sollten die Gruppen größer sein.[7]

    Die Zusammenarbeit in kleinen Gruppen ist für Studierende auch außerhalb von Präsenzeinheiten von Bedeutung und kann einen Erfolgsfaktor im Studium darstellen, gerade in MINT-Fächern. In Lehrveranstaltungen gebildete Gruppen können auch über sie hinaus auf längere Dauer weiterbestehen. Das kommt insbesondere auch zurückhaltenden Studierenden zu Gute, die somit nicht selbst Initiative ergreifen müssen.

3. Problembasiertes Lernen (Problem-based Learning, PBL)

Wenn Studierende Schwierigkeiten haben, den Anwendungsbezug des Gelernten oder den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis zu verstehen, kann sich der Einsatz von PBL lohnen. Studierende arbeiten dabei in Teams, um anwendungsorientierte Probleme zu lösen, während die Lehrperson den Teams begleitend zur Verfügung steht. Problembasiertes Lernen setzt ein gewisses Maß an Grundlagenwissen voraus. Darüber hinaus ist die Methode auch deshalb anspruchsvoll, weil Studierende ein Problem interpretieren und verstehen, Lösungswege erarbeiten und daraus auswählen, Ergebnisse interpretieren, kritisch hinterfragen und präsentieren müssen. Aus Erfahrungsberichten wird allerdings deutlich, dass sich der Aufwand lohnt: Studierende finden kooperatives Lernen und Problemlösung in der Gruppe sehr hilfreich; die Verbindung zwischen Konzeptwissen und Anwendung wird deutlich, und somit die Relevanz von LV-Inhalten.[8]

4. Einsatz digitaler Medien

Digitale Medien bieten zusätzliche Lernmöglichkeiten auch außerhalb der Präsenzeinheiten (siehe Blended Learning). Gerade bei StudienbeginnerInnen oder Gruppen mit heterogenen Vorkenntnissen erleichtern sie den Studierenden, fehlende Kenntnisse aufzuholen, z.B. durch Videos, Übungs- und Selbstüberprüfungsmöglichkeiten auf Moodle oder anderen Plattformen.[9]

  • Just-in-time Teaching (JiTT) kann als eine Variante von Blended Learning eingesetzt werden. Studierende erledigen vor der Präsenzeinheit Online-Aufgaben, wodurch die Lehrenden über bereits Verstandenes oder noch vorhandene Probleme informiert werden und in der Einheit darauf reagieren können.[10]
  • Wenn die Präsenzeinheit für Übungen verwendet wird, kann im Vorhinein das dafür nötige Grundlagenwissen oder Konzeptverständnis abgefragt werden.[11] Andere Varianten sind so genannte WarmUps und Puzzles. WarmUps bestehen aus einfachen Fragen zum Aufwärmen für ein Thema, die eine komplexere und tiefgreifendere Bearbeitung in der Einheit ermöglichen. Puzzles hingegen dienen zum Abschluss bzw. zur Synthese von bearbeiteten Themen. Diese Aufgaben sind typischerweise komplexer oder kombinieren zuvor behandelte Themen.[12]

    Tipp: Achten Sie auf eine realistische Zeitplanung, damit Sie in der Präsenzeinheit auf die gewonnenen Informationen reagieren können.

  • Flipped Classroom: Flipped Classroom ist ebenfalls eine Spielart von Blended Learning, die traditionelle Lehrenden-Inputs in digitale Formate auslagert (z.B. (Lehr)Videos, die auf Moodle zur Verfügung gestellt werden). Dadurch gewinnt man in der Präsenzeinheit Zeit für andere Lernaktivitäten (siehe Flipped Classroom).
  • Obwohl dieses Format hauptsächlich in Großlehrveranstaltungen (Vorlesungen) eingesetzt wird, können Elemente davon auch den klassischen Übungsbetrieb anreichern. Wenn etwa eine Lehrveranstaltung mit einem Kurzvortag zur Wiederholung von Vorlesungsinhalten beginnt, könnte dieser durch ein Video ersetzt werden, das die Studierenden vor dem Besuch der Übung ansehen (ev. ergänzt um Fragen dazu auf Moodle).

  • Für den Einsatz in der Präsenzeinheit eignen sich Audience Response Systeme (ARS) wie ARSnova. Damit können Sie schnell Lernstandsüberprüfungen (z.B. in Form von Quiz, Umfragen, Schätzfragen, Kurzantworten etc.) durchführen und Fragen bzw. Feedback von den Studierenden einholen.
  • In den letzten Jahren haben sich Lernpfade als wirksame digitale Lernunterstützung für Rechen- und Mathematikübungen erwiesen. Dabei handelt es sich um eine online (z.B. Moodle) zur Verfügung gestellte Abfolge an Inhalten und Aufgaben, die von den Studierenden individuell und eigenständig durchgearbeitet wird.[13] Die Gestaltungsmöglichkeiten für Lehrende sind vielfältig. Außerdem stehen online bereits zahlreiche Lernpfade frei zur Verfügung, die viele Grundlagenthemen abdecken:

Weiterlesen

Rechenübungen (2): Feedback & Beurteilen

Quellen

[1] Diese Kreuzerlliste können Sie auf Moodle erstellen und verwalten, siehe die Cheat Sheets zu „Kreuzerlübungen“ auf https://www.academic-moodle-cooperation.org/dokumentation/cheat-sheets/ [letzter Zugriff am 04.01.2022].

[2] Cox, Bill, und Michael Grove. Teaching Mathematics – A Guide for Postgraduates and Teaching Assistants. The Maths, Stats & OR Network, 2012. S. 29. https://www.birmingham.ac.uk/Documents/college-eps/college/stem/additional/Teaching-Mathematics.pdf [letzter Zugriff am 04.01.2022].

[3] Eine negative Korrelation zwischen Mathematikangst und mathematischem Lernerfolg wurde wiederholt belegt. Eine Diskussion dazu findet sich z.B. Bjälkebring, Pär. „Math Anxiety at the University: What Forms of Teaching and Learning Statistics in Higher Education Can Help Students With Math Anxiety?“ Frontiers in Education 4 (2019). doaj.org/article/0e38dc21f2224f3ebc57ef856ed3273d.

[4] Siehe z.B. Ableitinger, Christoph, und Angela Herrmann. Lernen aus Musterlösungen zur Analysis und Linearen Algebra: Ein Arbeits- und Übungsbuch. Neuauflage. Wiesbaden: Vieweg+Teubner/Springer 2013; Atkinson, Robert K, Sharon J Derry, Alexander Renkl, und Donald Wortham. „Learning from Examples: Instructional Principles from the Worked Examples Research“. Review of Educational Research 70, Nr. 2 (2000): 181–214.

[5] Auch bekannt als „Cognitive Apprenticeship“; für ein Anwendungsbeispiel siehe Frettlöh, Dirk, und Mathias Hattermann. „Konzeption eines Mathematik-Förderprogramms für Informatikstudierende der Universität Bielefeld“. In Lehren und Lernen von Mathematik in der Studieneingangsphase, herausgegeben von Axel Hoppenbrock, 197–212. Wiesbaden: Springer, 2016.

[6] Atkinson, Robert K, Sharon J Derry, Alexander Renkl, und Donald Wortham. „Learning from Examples: Instructional Principles from the Worked Examples Research“. Review of Educational Research 70, Nr. 2 (2000): 181–214.

[7] Nilson, Linda B. „Learning in Groups“. In Teaching at Its Best: A Research-Based Resource for College Instructors, 3. Auflage., 155–66. San Francisco: Jossey-Bass, 2010; Nilson, Linda B. „Quantitative Reasoning and Problem Solving“. In Teaching at Its Best: A Research-Based Resource for College Instructors, 3. Auflage., 197-98.

[8] Für konkrete Umsetzungsmöglichkeiten siehe z.B. Kämper, Andreas, Kathrin Wolf und Monica Serbu. „,Problembasiertes Lernen‘ (PBL) in Mathematik und Technik – Ein Ansatz für mehr Anwendungsbezug und Praxisnähe“ Präsentation HD MINT Symposium 2013. https://www.hd-mint.de/wp-content/uploads/2013/10/HD-MINT-Symposium_PBL_in_Mathematik_und_Technik.pdf [letzter Zugriff am 04.01.2022]; siehe auch Grieser, Daniel. „Mathematisches Problemlösen und Beweisen: Ein neues Konzept in der Studieneingangsphase“. In Lehren und Lernen von Mathematik in der Studieneingangsphase, herausgegeben von Axel Hoppenbrock, 661–75. Wiesbaden: Springer, 2016.

[9] Siehe auch die frei online zugänglichen Materialien für den Vorkurs Mathematik an der Universität Wien: https://mathematikmachtfreunde.univie.ac.at/vorkurs/themenbereiche/ [letzter Zugriff am 04.01.2022].

[10] Novak, Gregor, A. Gavrin, W. Christian, und E. Patterson. Just-In-Time Teaching: Blending Active Learning with Web Technology. Upper Saddle River, NJ: Benjamin Cummings, 1999; Simkins, Scott, und Mark H. Maier. Just-In-Time Teaching: Across the Disciplines, Across the Academy. Sterling, Va. : Stylus, 2010.

[11] Nilson, Linda B. „Inquiry-Guided Learning“. In Teaching at Its Best: A Research-Based Resource for College Instructors, 3. Auflage., 175–79. San Francisco: Jossey-Bass, 2010.

[12] Siehe z.B. Brame, Cynthia. „Just-in-Time Teaching (JiTT)“. https://cft.vanderbilt.edu/guides-sub-pages/just-in-time-teaching-jitt/ [letzter Zugriff am 04.01.2022]. Mehr Ressourcen und Beispiele finden Sie auf https://jittdl.physics.iupui.edu/jitt/ [10.09.2019].

[13] Roth, Jürgen. „Lernpfade - Definition, Gestaltungskritierien und Unterrichtseinsatz“. In Medienvielfalt im Mathematikunterricht, Lernpfade als Weg zum Ziel, herausgegeben von Jürgen Roth, Evelyn Süss-Stepancik und Heike Wiesner, 3 -25. Wiesbaden, Springer Spektrum, 2015.

Empfohlene Zitierweise

Louis, Barbara: Rechenübungen (1). Gestaltungsmöglichkeiten. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, September 2019. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/lv-typen-disziplinen/rechenuebungen/1-gestaltungsmoeglichkeiten/]

Dieser Text ist lizenziert unter Creative Commons
Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich (CC BY-SA 3.0 AT)
Mehr Informationen unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/at/